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Abschied

 
Käfer:


Was ist mit Dir? So habe ich Dich noch nie gesehen. Du gehst herum, Du betrachtest mich, dass man erröten könnte. Und in Deinen Augen ist etwas, was ich nicht zu deuten weiß. Eine Mischung zwischen unendlicher Liebe, Schmerz und tiefer Traurigkeit, das sich nicht auszudrücken vermag. Sag doch endlich, was Du hast, laß´mich Anteil nehmen. Sonst macht es mir Angst!


Er:


Ich möchte Dir sagen, dass ich mich in Dich verliebt habe, schon beim ersten Blick. Es macht mir nichts aus, dass aus zweiter Hand kamst. Dein Baujahr 54 und jedes Gramm Deines Tonnengewichts ist mir ans Herz gewachsen, obwohl Du nicht billig warst. Es tut mir Leid, wenn ich Dich in den letzten Jahren manchmal etwas vernachlässigt habe und öfter launisch war. Es war nicht immer leicht, im zunehmenden Alter auch Deine Mucken und Launen zu ertragen. Nicht zuletzt Deine Verfallserscheinungen machten mich manchmal wütend. Verzeih!....dass ich Dich in letzter Zeit oft beschimpft habe, ja Dich auch manchmal in den Unterleib trat, dass der Rost hinunter kam. Es tat mir manchmal mehr weh wie Dir, sicher hast Du es bemerkt, wenn ich fluchend und humpelnd mein Bein festhielt. Aber laß Dir sagen, Du hast mir immer viel bedeutet, auch wenn es mir erst jetzt so richtig bewusst wurde. Ach – wie soll ich Dir´s bloß sagen – ich meine – ich meine, ach was – ich hab Dich lieb.


Käfer schweigt.


Er:


Du sagst ja gar nichts mehr, habe ich was Falsches gesagt? Dein Schweigen ist unerträglich.


Käfer:


Mir fehlen die Worte. Willst Du Abschied nehmen? Nach über vierzig Jahren sagst Du mir, dass Du mich liebst. Weißt Du alter Knabe eigentlich nicht, dass ich das immer gefühlt habe, jetzt da Du das gesagt hast, macht es mich glücklich und doch gleichzeitig zornig, was heißt hier Dein Tonnengewicht, eine Unverschämtheit, ich habe eine gute Figur, schlanke Figur, das hast Du letzte Woche zu mir gesagt, als ich gewogen wurde und Du mich selbst auf der Waage noch befummeln wolltest. Die Begehrlichkeit stand Dir in den Augen, wenn Du meine Kurven betrachtet hast. Du Lüstling. Wie oft habe ich Dir sagen müssen, laß das, wenn Deine Hände meine Kotflügel zärtlich liebkosten. Immer wieder musste ich Dir sagen, dass Du es lassen sollst, was sollen den die Leute denken, mitten auf dem Parkplatz. Und eins möchte ich Dir endliche auch mal sagen: Es macht mich unendlich wütend, wenn Du in mir warst und es mit Frauen getrieben hast. Es war mir zwar klar, dass Dir meine Liebe und Treue nicht genügte und ich Dir das nicht geben konnte, was Du brauchst.

Und da ist noch was: Du gemeiner Kerl schieltest ständig nach diesem Mercedes, diese verdammte A-Klasse. Ich weis gar nicht was an diesem Typ dran ist, so ein plattes Hinterteil. Mein Po ist nach dreiundvierzig Jahren noch immer knackig, sonst Du wohl diesen nicht immer tätscheln. Du schlimmer Wüstling, Du.


Er:


Komm, komm, jetzt reichts, aber... Du hast Dir doch deine Lichter ausgeguckt, wenn dieser verdammte Daimler der E und S-Klasse an uns vorbeirauschte, so das sich Deine Kotflügel lüstern bogen.


Käfer:


Komm, fang nicht wieder einen Streit an, weil Du in Verlegenheit bist, meinst Du nicht, ich hätte das nicht schon längst gemerkt, dazu kenne ich Dich bereits zu gut.


Er:


Du weist , dass wir in Abständen beim TÜV waren. Ich hatte Dir die Bedeutung immer etwas abgemildert beschrieben, weil ich um Deine Empfindlichkeit weiß. Ich sagte Dir: TÜV ist so eine Art Frauenarzt, also eine Aotoarzt, der Dich untersucht.

Was hättest Du für eine Gezeter gemacht, weil ich es zulasse, dass sich jeder Deinen Unterleib berühren und ansehen darf. Ich brachte den Vergleich Frauenarzt nur, weil ich es vermeiden wollte, zu sagen, es wäre eine Art Psychiater. Da wärst Du in die Luft gegangen...


Käfer:


Nun komm endlich zur Sache! Du willst mir doch sagen, dass ich zu alt für Dich bin, weil meine Proportionen ein paar Beulen und Dellen haben und mein Unterleib verrostet ist. Kurz gesagt, Du brauch mich nicht mehr. Etwas Jüngeres muss her. Ist es dieser Mercedes, der Dir den Kopf verdreht hat?

Eins muss ich Dir aber auch sagen, Du bist auch nicht mehr der Schönste mit Deiner Teilglatze, Du Zahnloser Typ, Du. Meinst Du nicht, ich spüre Deine Falten auf dem Sitz an Deinem Hintern nicht?


Er:


Nein, sei nicht gekränkt, auch an mir sind so einige Mangelschäden, auch mir zwackt es überall, die Beine, das Kreuz tut weh und immer ist es ein andere Arzt zuständig.


Käfer:


Zum Frauenarzt oder zum Psychiater?


Er:


Jetzt wird´ ja nicht frech! Das Problem ist, dass sich dieser TÜV nicht mehr bestechen lässt. Wir dürfen noch nach Hause fahren und dann wirst Du unwiderruflich aus dem Verkehr gezogen. Ich möchte mich nicht von Dir trenne. Auch laß´ich es nicht zu, das Du auf dem Schrottplatz landest und dort ausgeschlachtet im Recyclingverfahren wiederverwendet wirst.


Käfer ( Schnippisch)


Dann begrab mich doch am Straßenrand, so kann ich Dich wenigstens immer mit deiner neuen Tussi sehen. Oder verbrenne mich und streue die Asche auf die Autobahn.


Er ( wütend)


Das alle über Dich rutschen können, das kommt gar nicht in Frage, Du bist doch keine Nitribitt. Und Dir eine Grab zu schaufeln, dass geht auch nicht Ich hätte noch eine Garage, Dich dort verstauben zu lassen und Dein ständiges Schluchzen zu hören, macht auch kein Sinn. Ich schlage vor, wir vertagen das Gespräch und die Entscheidung. Wir fahren nach Offenbach am Mainufer zu unserem Lieblingsplatz, wo ich Dich immer waschen und plegen dürfte und wir Beide staunend den Schiffen nachsahen und träumten. Dieser Platz ist unser Versöhnungsplatz gewesen, wenn wir uns stritten.


Käfer:


Oooooooooooooooooh ja, ja: Dort fahren wir hin. An diesem Platz wurde immer alles gut.


Im Sommer 1998 stand in allen hessischen Zeitungen, so auch im Usinger Anzeiger, dass sich am Mainufer ein VW selbständig gemacht hatte, weil die Bremse nicht angezogen war. Der Fahrer konnte nach Bergung des Käfers nur noch tot geborgen werde. Eigentlich schien er zu lächeln, bemerkte ein Reporterin abschließend. Für einen kurzen Moment gingen dann wie zur Bestätigung die Lichter des Autos noch einmal an, um dann für immer zu erlöschen.